Cello Meets Poetry

Das Ensemble Celleramento. Der Poetry Slammer Bas Böttcher. Eine Reise in das ungewöhnliche Zusammenspiel aus Musik und Literatur.

von Aneta Pestova / 4. März 2017

 

Ich steige mit meinem Cello auf dem Rücken aus dem Bus aus. Langsam nähere ich mich der Laeiszhalle. Heute bin ich nicht wie gewöhnlich eine Besucherin eines Konzertes, sondern Mitwirkende. Mit sieben anderen Cellistinnen und Cellisten spiele ich gemeinsam ein eigenes Konzert. Der Gedanke, dass heute das Konzert stattfindet, ist kaum zu glauben. Der Regen prasselt mir auf den Rücken und ich spüre die Kälte in meinen Fingerspitzen. Je näher ich dem Künstlereingang der Laeiszhalle komme, umso mehr wird mir bewusst, wie viel ich für das Konzert in letzter Zeit getan habe. Die Proben, das zeitlose Üben, das Versuchen, Musik zu verstehen, das Organisieren, die Herausforderungen, das Überwinden. Ich könnte mit dem Aufzählen nie aufhören, denn die Dinge, die mich heute in die Laeiszhalle bringen, lassen sich nicht aufzählen.

Cello Meets Poetry - Veranstaltungsplakat13:30. Ich stehe vor dem Künstlereingang. Die Aufregung in mir steigt. Ich frage mich, ob die anderen aus dem Ensemble bereits dort sind. Ob unser Leiter Andranik bereits dort ist. Ob Bas Böttcher bereits dort ist. Noch nie habe ich ihn gesehen, obwohl er heute ein großer Teil unseres Konzertes sein wird. Er wird unsere Musik mit seiner Sprache unterstützen. Wie er das wohl machen wird? Ich bin äußerst gespannt. Mit großer Neugier öffne ich die Tür der Laeiszhalle. Ich schaue mich um und entdecke einen Gang, welcher zu den anderen Gängen führt. Ich ziehe meine nasse Kapuze aus und fühle die Wärme der mir bekannten, aber heute auch unbekannten Laeiszhalle.
Nach kurzer Zeit finde ich das Studio E. Ich öffne die weiße, schwere Tür des Saals und trete hinein. Ich schaue mich um und bin begeistert. Ich sehe weit vorne eine Bühne, dann viele Stuhlreihen, welche hintereinander stehen und um die Stuhlreihen herum einen Balkon, auf dem ich gerade stehe und von dort ich beobachte. Ich entdecke nach kurzer Zeit mir bekannte Gesichter, welche auf der Bühne die Stühle einrichten, die Stühle in den Stuhlreihen schieben und ihre Celli auspacken. Andranik begrüßt mich kurz und verschwindet wieder. Durch eine Seitentür gelange ich zu einem kleinen Raum, wo ich meine Jacke ausziehe und mein Cello auspacke. Ich stürme mit meinem Cello zur Bühne, da wir nicht viel Zeit haben, bis das Konzert beginnt.

14:00. Die Stühle stehen in einem Halbkreis auf der Bühne. Jeder setzt sich hin, sodass er seine Stimme für das erste Stück, den Ungarischen Tanz, spielen kann. Ich setze mich auf meinen fremden Stuhl und schaue in das leere Publikum. Sofort wird mir bewusst, dass das Konzert ausverkauft ist und wieder steigt die Aufregung in mir. Plötzlich erklingen die Töne des schwarzen Flügels und wir stimmen nacheinander unsere Instrumente. Die anderen des Ensembles schauen konzentriert. Die Konzentration für das letzte kurze Einspielen vor dem Konzert ist höher als sonst. Wir spielen wenige Takte des Ungarischen Tanzes und ich höre die fleischigen Töne des mir bekannten Stückes. Während des Spielens bemerke ich die fremde Akustik, die mir gefällt. Die Töne hören sich warm und kräftig an.
Wir gehen nacheinander das Programm durch, bis sich oben die Tür öffnet. Ein großer Mann mit einem schwarzen Jackett und darunter einem Pullover. Ein Hut auf dem Kopf. Bas Böttcher. Die Aufmerksamkeit des Ensembles gewinnt er sofort. Wie sich wohl seine Stimme als Poetry Slammer anhört? Nach dem Üben des letzten Stückes kommt Bas auf die Bühne und begrüßt uns. Er ist äußerst sympathisch und spricht deutlich. Er stellt sich vor und richtet dann sein Mikrofon ein. Währenddessen setzen wir uns um, sodass wir die Reihenfolge unserer Stücke und seiner literarischen Texte dazwischen nochmal durchgehen können. Als Bas anfängt, sein erstes Gedicht vorzutragen, schauen wir uns aus dem Ensemble überrascht an. Er steht mitten im Halbkreis des Ensembles und erzählt mit seiner singenden Stimme eine Geschichte. Mit Vorfreude gehen wir das Konzert durch. Dann nehmen wir zügig unsere Celli und verschwinden hinter der Seitentür.

15:30. Die Tür des großen Saals wird geöffnet. Das Publikum stürmt hinein. Wir lauschen ungeduldig hinter der Seitentür. Beim Anblick des Publikums werde ich aufgeregter als davor. Wir stellen uns hintereinander auf und hören die letzten Worte von Andranik. Es ist das erste Konzert, bei welchem Andranik nicht mitspielen wird. Die Seitentür geht auf.

Bild Bühne Laeiszhalle Studio E16:00. Nacheinander betreten wir die Bühne. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist uns gewidmet. Wir setzen uns auf unsere Stühle. Während unsere Schulleiterin eine Begrüßungsrede hält, beobachte ich das Publikum. Die vorher leeren Stuhlreihen sind nun besetzt. Mir wird erneut bewusst, dass jetzt der Moment gekommen ist, den wir als Ensemble lange angestrebt haben. Ich lege zitternd meinen Bogen auf die Saiten des Cellos. Ungarischer Tanz beginnt. Der Moment, auf der Bühne in der Laeiszhalle zu spielen, ist fremd. Sobald der letzte Ton aufhört, ertönt der Applaus des Publikums. Mit Erleichterung hören wir Bas Böttcher zu. Er fängt an zu sprechen, teils singen und erweitert das Gespielte mit der Sprache. Er füllt die Musik mit Worten. Es ist ungewöhnlich neu, die persönlich gespielte Musik mit ausgedrückten Worten zu hören. Das Konzert geht über „Humoresque” von Dvorak, „Schindler´s List” von Williams sowie „Cortège” von Apocalyptica weiter. Bas ergänzt die Musik mit unterschiedlichen Texten.
Nach der Pause spielen wir unter anderem „Kanon” von Pachelbel und einen Tango von Gardel. Der zweite Teil des Konzertes ist lebendiger. Wir trauen uns mehr. Wir spielen mehr miteinander, schauen uns gegenseitig während des Spielens an und wir haben wirklich Spaß. Ich habe mich an die fremde Bühne gewöhnt. Ich genieße das Konzert und freue mich über die interessanten Texte von Bas. Es bedarf an Konzentration, um diese zu verstehen. Nach dem letzten Stück ertönt ein lauter Applaus. Als Zugabe spielen wir den „Säbbeltanz”. Andranik spielt die Zugabe mit. Das Ensemble genießt das letzte Stück. Erneut ein lauter Applaus. Ich schaue lächelnd ins Publikum und freue mich über die Erleichterung, dass wird das Konzert geschafft haben. Das Publikum klatscht, wir bekommen Blumen und die Freude ist riesig. Ein ungewöhnlich neues Zusammenspiel aus Musik und Poesie.
Jeder aus dem Ensemble freut sich über eigene Fortschritte und sieht gleichzeitig die Arbeit vor sich, die noch getan werden muss. Als ich mein Cello einpacke, wird mir bewusst, wie sehr ich das Cello mag. Es ist nicht nur mein Instrument, sondern es bringt mir Freude, es drückt meine Gefühle aus, es lehrt mich und es bringt mich mit den anderen zusammen. Das große Konzert in der Laeiszhalle beweist es mir.